Guyana entdecken und lieben

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Die prächtigen Kaieteur Falls mitten im Dschungel Guyanas. Foto: David di Gregorio

Spitzen-Auszeichnung für eines der letzten Dschungelparadiese der Erde: Ein verdienter Platz Eins in der Kategorie Nachhaltiger Tourismus für den südamerikanischen Kleinstaat. Eine Reise der Superlative erwartet Abenteurer und Individualtouristen.

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Dwayne hat noch einmal Glück gehabt. Genau wie seine Schwester Sandy und Spielkameradin Pat. Das Krokodil lauert zwar immer noch in unmittelbarer Nähe zu den Baby-Otter, doch Melanie McTurk und ihre fleißigen Helfer passen auf die Kleinen auf. Damit auch sie einmal groß werden können. Schon zum zweiten Mal rettet ihnen McTurk damit das Leben. Wilderer hatten sie den Müttern weggenommen, um sie als Haustiere zu verkaufen. Als niemand die Wildtiere wollte, brachten sie sie zur Karanambu Lodge im Landesinneren.

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Hier, im Herzen der Savanne, gründete die 2016 verstorbene Tier- und Umweltschützerin Diane McTurk, auch bekannt als „Otter-Lady“, die Riesenotter-Aufzuchtstation auf ihrer Ranch am Rupununi-Fluss. Melanie McTurk führt heute die Arbeit fort. Ihre jungen Riesenotter watscheln ihr wie Enten hinterher, wenn es zum Toben und Fressen hinunter an den Fluss geht. Hier dürfen sie auch mit den Nachbarskindern spielen. „In zwei Jahren kommt die Auswilderung, bis dahin werden wir sie täglich an ihre natürliche Umgebung gewöhnen“, sagt die Nichte der Verstorbenen. Reisende, die vorbeikommen, dürfen das morgendliche Szenario am Fluss aus der Nähe betrachten und auch mitmachen. Aber Vorsicht, die Zähne der kleinen Otter sind spitz und sie mögen gerne den einen oder anderen barfüßigen Zeh, wenn man sich mit ihnen in Flussnähe begibt.

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Das einzige englischsprachige Land Südamerikas hat neben seiner Tierwelt auch noch 183.000 Quadratkilometer geschlossenen Regenwald zu bieten. Nicht nur für Profi-Filmer ist es ein Paradies. Jaguar, Ameisenbär, Mohrenkaimane, Harpyie, der imponierende Greifvogel mit bis zu zwei Metern Flügelspannweite oder das Capybara, eine Art Wasserschwein, werden auch von Hobbyfotografen begeistert abgelichtet. Obwohl letzteres zu der Familie der Meerschweinchen gehört, hat es mit den putzigen Haustieren wenig zu tun, denn sein Gewicht kann durchaus bis zu 60 Kilo betragen.

„Afrika hat seine ‚Big Five‘, Guyana dagegen seine ‚Giganten'“, betont Brian Mullis, Direktor der nationalen Tourismusbehörde. Und erst recht ist es mit 900 verschiedenen Spezies ein Tummelplatz für Vogelkundler. Schon mal was vom orangefarbenen Felsenhahn gehört? Diesem „Cock of the Rock“ (Rupicola) begegnet man nur im Dschungel Guyanas. Auf die Reisenden warten aber auch noch weitere 225 Säugetierarten und 880 verschiedene Reptilien.

Weder asphaltierte Straßen noch Infrastruktur

Es gibt weder asphaltierte Straßen noch Infrastruktur. Voran kommt man am besten mit kleinen Flugzeugen oder im Kanu entlang der mächtigen Dschungelflüsse. Weniger als 5.000 Touristen jährlich zieht es in den mit 750.000 Bewohnern dünn besiedelten Staat zwischen Venezuela, Surinam und Brasilien. Eine Sandpiste als einzige Fernstraße verläuft quer durch das Land nach Brasilien. Der Küstenbereich rund um die Hauptstadt Georgetown erinnert kulturell stark an die Leichtigkeit der Karibik während im Landesinneren die Ureinwohner, Amerindians genannt, noch mit Pfeil und Bogen jagen. 84 Prozent des Landes sind Natur pur, die Bewohner besiedeln gerade einmal wenige 16 Prozent der Staatsfläche. Tourismus ist nicht ausgeprägt, es gibt nur ein paar Lodges im Landesinneren, die aber alles bieten, was der Reisende braucht. Familienanschluss ist garantiert, das Abendessen wird oft gemeinsam mit den Eigentümern eingenommen, die es sich nicht nehmen lassen, die Geschichten ihres Lebens zu erzählen.

Wie Colin Edwards von der Rock View Lodge. Die kleine Cessna von Trans Guyana Airways landet direkt auf dem Airstrip vor seinem Haus und spuckt die Reisenden aus. Edwards lässt es sich nicht nehmen, selbst am Rollfeld die neuen Gäste zu begrüßen und ihr Gepäck in Handroller zu verladen. Der britische Diplomatensohn, der einen Teil seiner Jugend in Bad Godesberg verbracht hat, lebt seit den 1980er Jahren in Guyana. Der Zufall und eine Frau haben ihn bleiben lassen. Ein Abenteuer sei sein Leben schon immer gewesen, angefangen hätte es 1969 mit dem Straßenbau in Nordbrasilien. Und irgendwann später kam die Rock View Ranch. Auf ihr hatte er schon während seiner Arbeitseinsätze logiert, sich in das Anwesen verliebt und es schließlich gekauft. In der Nähe liegt die rote Sandpiste nach Brasilien, doch die täglichen Autos oder Busse lassen sich an zwei Händen abzählen.

Lange Abende mit Rum und Spionagegeschichten

Heute ist Rock View eine besondere Herberge mit einem von Hand gebauten idyllischen Pool für Reisende „mit einem Fokus„. So beschreibt es Edwards am liebsten, abends bei der Rum-Probe in der Bibliothek. Er fügt hinzu, dass Prinz Charles im Jahr 2000 sein Gast war und „Partytouristen hier ganz fehl am Platz sind“. Es wird geredet und gelacht, und die Besucher lauschen, wenn der Hausherr über die Zeit des Kalten Krieges in Europa erzählt, von Spionen und einer großen unglücklichen Liebe damals in einem osteuropäischen Staat. Und über seinen einst gefassten Entschluss, Europa für immer zu verlassen, in den Weiten Südamerikas eine neue Heimat zu finden, und nicht mehr zurückzukehren. Nie mehr. Bis jetzt hat er sich an diese Entscheidung gehalten und wird sie auch nicht mehr ändern. Er deutet auf zwei Gräber, die in der hintersten Ecke der Farm liegen. „Meine Eltern!“, sagt er, als ob alles da wäre, was für ihn jemals von Bedeutung gewesen sei, hier, in der neuen Heimat.

Auch seine Farm, wie alle anderen auch, hat eigene Führer, egal, ob es Dschungelpfade oder die Tierwelt am Ufer der Flüsse zu entdecken gilt. Oder, wie auf der Karanambu Lodge geschehen, es darum geht, mit den Cowboys per Pferd oder Jeep im Morgengrauen in der Savanne zu sein, um einen Blick auf den nachtaktiven, bis zu 1,40 Meter langen Großen Ameisenbär zu erhaschen, bevor er sich zum Schlafen zurückzieht. Andere ziehen die nächtliche Krokodiljagd per Kanu mit Wildhütern und Rangern vor. Im Vordergrund steht auch hier immer die behutsame und auf Ressourcen achtende Tourismus-Entwicklung der Verantwortlichen.

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Krokodile fangen  

Mohrenkaimane heißen die schwarz glänzenden, bis zu sechs Meter langen und bis zu 300 Kilo schweren Reptile, die als größte Räuber im Amazonas-Ökosystem gelten. Hautnah dabei sein zu können, wenn in der Dunkelheit an den Ufern rote Augenpaare aufleuchten gehört zu den größten Abenteuern der Reise. Blitzschnell werden sie von den Wildhütern mit einer Drahtschlinge gepackt und neben dem Boot hergezogen. Dabei schlagen die Tiere so wild um sich, dass es nicht allzu lange dauert, bis ihre Energie schwindet und sie entkräftet auf einer Sandbank abgesetzt werden können. Das Maul wird mit Klebeband verschlossen und dann beginnt die Arbeit.

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Der Mohrenkaiman wird gemessen, nach seinem Geschlecht bestimmt, gewogen und gechipt. Untersucht wird vor allem, wie viele der Reptilien es noch gibt, denn die Spezie wird immer noch bejagt. Dabei geht es in der Hauptsache nur um die großen Männchen, die wegen ihrer besonders schönen Häute, welche im Gegensatz zu anderen Krokodilen keine kleinen Knochen enthalten, erlegt werden. Die wesentlich kleineren Weibchen haben mehr Glück. Sie sind nicht so leicht zu fangen, denn sie ziehen sich zur Eiablage in abgelegene Seengebiete zurück. Dort wird ihnen kaum nachgestellt. Dadurch konnten sich die Bestände auch immer wieder erholen. Doch auch Fischer stellen ihnen nach, weil sie Fische fressen oder ihre Netze zerstören.

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Um die Schwarzen Kaimane auch weiterhin zu schützen, arbeiten Ranger schon seit Jahren eng mit der nationalen Naturschutzbehörde zusammen. Ziel ist es weiter, die Population zu analysieren und zu dokumentieren. Das geht aber nur, wenn genügend Geld für die Forschung vorhanden ist. Gerade deswegen leisten hier Touristen aktiven Umweltschutz. Denn sie ermöglichen mit ihren finanziellen Beitrag, dass ein Boot betankt werden kann, um eine Nacht lang auf dem Urwaldfluss Kaimane für die Dokumentation zu fangen.

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Das Highlight im Dschungel

Ein weiteres Highlight liegt mitten im Regenwald. Den ersten Blick auf die rund 250 Meter hohen, majestätisch anmutenden Kaieteur Falls bekommen die Reisenden beim Anflug der kleinen Maschine auf die Dschungellandebahn. Nach dem Einchecken ins Kaieteur-Gästehaus, einer einfachen Unterkunft, und einem zehn Minuten Fußweg begeistert der Anblick auf einen der höchsten Wasserfälle Amerikas. Hier stürzt der Potaro-Fluss in einer einzigen Stufe auf einer Breite von fast einhundert Metern über eine 247 Meter hohe Sandstein-Klippe vom Hochland in das etwa auf Meeresniveau liegende Tiefland. Nur kleine Reisegruppen sind erlaubt. Damit wird garantiert, dass der Besucher die tobenden Wassermassen fast für sich alleine hat. Es gibt weder Absperrungen noch Begrenzungen, daher ist der Anblick nur mit Führer erlaubt. Der Legende nach erhielt der Wasserfall seinen Namen nach dem Patamona-Häuptling Kai. Um seinen Stamm gegen die aufständischen Carib-Krieger zu verteidigen und Gott Makonaima gnädig zu stimmen, opferte er sich, indem er sich in einem Kanu in die Tiefe stürzte.

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Angesprochen auf die Auszeichnung des Landes im Bereich nachhaltiger Tourismus betont Mullis: „Wir haben in den vergangenen Jahren beträchtliche Anstrengungen unternommen, innovative und umweltfreundliche Tourismusprodukte als Teil unserer Strategie zu entwickeln. Gleichzeitig wollen wir der Welt klar machen, wie nachhaltig der Tourismus in Guyana ist. Dieser Preis ist die Anerkennung für all unsere Bemühungen.“

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Ähnlich sieht es auch Albert Salman, Präsident der Green Destinations Foundation: „Die Jury war beeindruckt von den Erfolgsgeschichten der sehr individuellen Öko-Lodges, die sich in Besitz und unter der Leitung der lokalen, indigenen Bevölkerung befinden. Dadurch werden nicht nur die Ökosysteme Guyanas, sondern auch die Traditionen des Landes und der verschiedenen Volksgruppen erhalten.“

Für und Wider

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Schuldirektor Terence Brasche

Tatsächlich gibt es nur eine Handvoll Unterkünfte im Landesinneren, die Gäste aufnehmen. Ein gelungenes Beispiel für die Integration von indigenen Tourismusaktivitäten ist das Caiman House als Unterkunft und Forschungsstation für Reptilien. In seinem Umfeld gibt es verschiedene gemeindenahe Projekte wie Schulen, eine Bibliothek mit Kino sowie Handwerksbetriebe, um Einkommen für die Urbevölkerung zu schaffen. Denn längst nicht alle setzen auf Tourismus in ihrer direkten Umgebung. „Unsere Kultur ist für uns immens wichtig. Wir wollen sie nicht von anderen zerstören lassen“, sagt Schuldirektor Terence Brasche aus Yupukari. Er zielt dabei weniger auf internationale Gäste ab, die kommen und die Gepflogenheiten achten. Vielmehr sei es der nationale Tourismus, der ihm Angst mache. „Wenn es erst einmal Straßen gibt, die die jungen Leute aus der Küstenregion mit ihren Jeeps, Gewehren und Alkohol zum Party machen hierher bringen, ist es mit unserer Kultur vorbei.“ Drastisch sieht er den Ausbau des Straßennetzes, denn Infrastruktur wird auch ihr Leben, ihre Traditionen negativ beeinflussen. „Das Erschließen des Landes bringt gute wie auch schlechte Dinge mit sich.“ So wie er denken viele.

Auch Touristenführer Waldyke Prince bezeichnet die Entwicklung seines Landes als eine „bittersüße“ Erfahrung. Gefordert sei nun vor allem Bildung und Aufklärung, damit ein Raubbau verhindert werden könne.

Ankerplatz in der Hurrikan-Saison

Meeresstrände sucht der Besucher Guyanas vergeblich. Dafür gibt es die feinsandigen weißen Ufer des Essequibo-Flusses, die den Karibik-Traumstränden in nichts nachstehen. Das Baganara Resort steht für den perfekten Rückzugsort nach anstrengenden Dschungel-Abenteuern. Hier kann man sprichwörtlich für ein paar Tage die Seele baumeln lassen.

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Wer sein ganz persönliches Abendkonzert wünscht, lässt sich am Spätnachmittag per Kanu zur Parrot-Insel bringen, wo tausende von Papageien im Licht der untergehenden Sonne ihren Gesang anstimmen, bevor sie sich auf den Bäumen zur Nachtruhe zurückziehen. Auch für Yachten aus der Karibik ist der Essequibo-Fluss der ideale Ankerplatz in der Hurrikan-Saison, denn die berüchtigten Stürme gibt es hier nicht.

Manche zieht es ans andere Ufer auf ein paar Drink in den Pubs von Bartica. Die Stadt gilt immer noch als Tor zu den Goldminen des Landes und dient vor allem an den Wochenenden dem Partyvergnügen der Minenarbeiter.

Die Bezeichnung „British-Guyana“ wird nicht mehr verwendet. Denn die knapp 800.000 Einwohner sind stolz auf ihre Unabhängigkeit gegenüber Großbritannien vom 26. Mai 1966. Eines der letzten Dschungelparadiese wartet darauf, entdeckt zu werden. Aber nur Schritt für Schritt. Das kleine Land möchte sich jetzt und in Zukunft als ein sehr individuelles und lohnenswertes Reiseziel hervorheben, fernab von jeglichen Party-Tourismus. Damit Dwayne, Sandy und Pat auch weiterhin stellvertretend für alle Aha-Erlebnisse stehen, die der Reisende hier erwarten kann.

Allgemeine Infos:

Deutsche Staatsangehörige brauchen kein Visum.

Interline-Abkommen zwischen den Fluggesellschaften Condor und LIAT (Zwischenstopp in Antigua oder Barbados, daher ist ein Karibikaufenthalt als perfekte Kombinationsreise möglich). Vorteile: Abgestimmte Umsteigeverbindungen, durchgechecktes Gepäck und günstigere Ticketpreise.

Hotelempfehlungen:

Georgetown: Cara Lodge von 1840 im Kolonialstil, Roraima Residence Inn mit Swimmingpool, Kings Hotel and Residence als neues Stadthotel.

Kaieteur Falls: Kaieteur Guesthouse als einfache Unterkunft, dafür unmittelbar am Wasserfall.

Rock View Lodge im Landesinneren zwischen Savanne und Regenwald mit Pool, tropischem Garten und abenteuerlichen Geschichten.

Caiman House als Forschungszentrum, Gemeindeprojekt und Unterkunft. Von hier aus werden die nächtlichen Touren zu den Mohrenkaimanen organisiert.

Karanambu Lodge mit der Riesenotter-Aufzuchtstation.

Baganara Island Resort zum Relaxen direkt am Ufer des Essequibo-Flusses.

Reiseberatung:

www.guyanatourism.com

www.wilderness-explorers.com

Meinung der Autorin hier!

 

 

 

 

 

 

 

Über sl4lifestyle

Journalistin aus Leidenschaft, Tierschützerin mit Hingabe und neugierig auf das Leben. Ich stelle Fragen. Ich suche Antworten. Und ab und zu möchte ich die Welt ein Stückweit besser machen ... Manchmal gelingt es!
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2 Antworten zu Guyana entdecken und lieben

  1. Wow, wie spannend! Danke für diesen schönen Bericht.
    Liebe Grüße, Karin

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